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Title
Die Kalifen von Kairo. Die Fatimiden in Ägypten 973-1074


Author(s)
Halm, Heinz
Published
München 2003: C.H. Beck Verlag
Extent
508 S.
Price
€ 39,90
Reviewed for H-Soz-Kult by
Johannes Pahlitzsch, Seminar für Semitistik und Arabistik, Freie Universität Berlin

Heinz Halm, Professor für Islamische Geschichte am Orientalischen Seminar der Universität Tübingen, bietet in seinem Buch einen ausführlichen und kenntnisreichen Überblick über die Herrschaft der fatimidischen Kalifen in Ägypten von der Eroberung des Landes und der Gründung der neuen Palaststadt Kairo (al-Qahira, die Siegreiche) im Jahr 973 bis zur faktischen Entmachtung der fatimidischen Herrscher durch die türkischen Mamlukenregimenter 1074. Für die verbleibenden 100 Jahre fatimidischer Herrschaft bis zur Machtübernahme Saladins 1171 bestimmten zumeist armenischstämmige Wesire das Schicksal des Landes. Das Buch stellt damit praktisch den zweiten Teil einer umfassenden Geschichte der Fatimiden dar, deren ersten Band Halm 1991 vorgelegt hat. 1 Insofern geht Halm nicht auf die Ursprünge der Fatimiden ein und verzichtet leider auch auf eine gerade für fachfremde Leser nützliche Einführung in die von den Fatimiden propagierte schiitisch-ismaelitische Richtung des Islams.

In den beiden einleitenden Kapiteln (S. 1-44 und 45-81) beschreibt Halm die topografischen und natürlichen Bedingungen Kairos und Ägyptens im 10. und 11. Jahrhundert. Der in längeren Abschnitten zitierte Reisebericht des persischen Reisenden Naser-e Khosrou dient ihm dabei als Leitfaden für eine anschauliche, lebendige Darstellung der hoch entwickelten Wirtschaft Ägyptens sowie der Topografie und Lebensumstände Kairos und Misrs (Alt-Kairos). Das zweite Kapitel ist dem Nil, seiner Bedeutung als Lebensgrundlage Ägyptens, der Erkundung seines Verlaufs durch die Fatimiden, den mit der Nilschwelle verbundenen Riten wie der Salbung des Nilometers oder der Öffnung der Bewässerungskanäle aber auch dem System der Steuerberechnung und -eintreibung gewidmet.

In den nachfolgenden, den einzelnen Herrschern zugeordneten Kapiteln wird im Wesentlichen der Verlauf der Geschichte fatimidischer Herrschaft in Kairo beschrieben, wobei Halm dieses chronologische Schema immer wieder aufbricht, um einzelne Themen systematisch zu behandeln. In Kapitel drei (S. 82-118) zu al-Mu'izz, dem ersten Fatimiden, der in Kairo residierte, geht Halm auf dessen Maßnahmen zur Sicherung der fatimidischen Herrschaft im neueroberten Ägypten ein. Dabei musste der Kalif nicht nur die ismaelitischen Maghrebiner, vor allem Berber vom Stamm der Kutama, die den Kern seiner Truppen bildeten, zufrieden stellen, sondern auch die sunnitischen Ägypter sowie die Christen, Kopten aber auch Melkiten, die die Bevölkerungsmehrheit ausmachten, für sich gewinnen.

Außenpolitisch bestand das langfristige Ziel der Fatimiden darin, das sunnitische Kalifat der Abbasiden in Bagdad abzulösen und die Heiligen Stätten Mekka und Medina unter ihre Herrschaft zu bringen. Während das erste Ziel nicht dauerhaft erreicht werden konnte, kam die Arabische Halbinsel unter fatimidische Oberhoheit. Die Eroberung Palästinas und Syriens erwies sich dagegen als langwieriges Unterfangen, wurde doch die fatimidische Herrschaft immer wieder von nach Unabhängigkeit strebenden Beduinenstämmen gefährdet. Die Expansion nach Osten brachte die Fatimiden auch in direkten Kontakt zu Byzanz. Trotz immer wieder aufbrechender Konflikte vor allem um die Oberhoheit über Aleppo wurden aber schon unter al-Mu'izz die Verhandlungen mit Byzanz aufgenommen, die unter den späteren Kalifen zu einer ganzen Reihe von Waffenstillstandsvereinbarungen führten. Auch an der Südgrenze zu Nubien wurden stabile Beziehungen etabliert.

Das Kapitel zu al-'Aziz (975-996) (S. 119-166) beginnt Halm mit einer systematischen Behandlung der Verwaltung, der Stellung der Juden und Kopten im fatimidischen Staat sowie der verschiedenen christlichen Feste, bevor die Darstellung der Außenpolitik fortgesetzt wird. Als eigentlicher Kern des Buches kann aber die 137 Seiten lange Biografie des al-Hakim gelten (S. 167-304), dem nach Harun ar-Raschid bekanntesten Kalifen. Eine feindliche, d.h. sunnitische und christliche Überlieferung habe ihn „mit monströsen Zügen“ ausgestattet und ein „Horrorbild“ von ihm gezeichnet (S. 169), das Halm zu korrigieren sucht. Gerade die ihm unterstellte Sprunghaftigkeit sei nur die Folge einer unklaren, von Halm im Folgenden soweit möglich klar gestellten Chronologie. Halm zeichnet dabei das Bild eines zwar beim Volk aufgrund seiner Freigebigkeit sehr beliebten aber andererseits äußerst misstrauischen Herrschers, der im Falle des geringsten Verdachts von Illoyalität Wesire und Beamte hinrichten ließ. Dieses Misstrauen führt Halm auf die demütigenden Erfahrungen seiner Kindheit zurück, als er als Elfjähriger nach dem Tod seines Vaters unter der Vormundschaft der Hofcliquen seine Herrschaft antrat. Auch al-Hakims strenge, sich immer mehr verschärfenden Dekrete zur Verbesserung der Sitten, zu nennen wären etwa Alkoholverbote und zeitweise sogar ein generelles Ausgehverbot für Frauen, deutet Halm nicht als Anzeichen von Geisteskrankheit. Vielmehr habe sich der Kalif, der in seiner Jugend noch regelmäßig den christlichen Festen als Zuschauer beigewohnt hatte, als „Volkserzieher“ verstanden, der mit einer „verbissenen Beharrlichkeit“ eine Verbesserung der Sitten anstrebte (S. 186). Wie auch immer die Maßnahmen al-Hakims zu deuten sind, in ihrer extremen Ausformung stellen sie doch eine Ausnahmeerscheinung in der islamischen Geschichte dar.

Das Gleiche kann für die diskriminierenden Kleidervorschriften für Nicht-Muslime gelten sowie die Konfiszierungen kirchlichen Besitzes und Zerstörungen von Klöstern und Kirchen, die 1009 im Abriss der Grabeskirche in Jerusalem gipfelten. Halm betont, dass die Nachrichten in den christlichen Quellen aufgebauscht wurden. Von einer Christenverfolgung könne nicht die Rede sein. Das Ausmaß der Zerstörungen sei überschaubar und die Übergriffe gegen Kirchen und Klöster durch Geldnot motiviert. Tatsächlich dienten die konfiszierten Güter der Versorgung des Militärs. Dennoch müssen diese Ereignisse in dieser Form als einzigartig gelten. Und ob sich die Zerstörung der Grabeskirche mit dem Bedarf nach Baumaterial bzw. nach dem Erlös aus dem Verkauf des Materials allein erklären lässt, muss bezweifelt werden. Nach etwa 10 Jahren beendete der Kalif die Repressalien und verfügte die Wiedereröffnung aller Kirchen und die Rückgabe des konfiszierten Besitzes.

Im Rahmen der Biografie al-Hakims geht Halm dann auch erstmals in seinem Buch auf die Inhalte der ismaelitischen Geheimlehre und die Struktur der Gemeinde, die Rechtsprechung im fatimidischen Reich sowie die Organisation der ismaelitischen Mission (da'wa) ein. Ebenso wird im Zusammenhang mit dem Verschwinden des Kalifen die Entstehung der Sekte der Drusen behandelt. Von besonderem Interesse ist hier Halms Deutung der doppelten Thronfolgeregelung al-Hakims, die darauf abzuzielen scheint, einen Kalifen für alle Muslime als Nachfolger in der weltlichen Herrschaft und einen Imam als Oberhaupt der Ismaeliten einzusetzen. Auf diese Weise wäre der fatimidische Staat seines ismaelitischen Charakters entkleidet worden.

Im sechsten und siebten Kapitel (S. 305-347) zu den Kalifen az-Zahir (1021-1036) und al-Mustansir (1036-1074) behandelt Halm die Revision der Religionspolitik al-Hakims sowie vor allem die weitere Entwicklung im Maghreb und in Palästina und Syrien. Auch hier gelingt es Halm, seine Darstellung farbig zu gestalten, indem er in einem Exkurs die Erlebnisse eines ismaelitischen Missionars im Iran schildert. Die kurzzeitige Eroberung Bagdads Ende 1058 blieb nur eine vorübergehende Episode und verhinderte nicht den steten Niedergang der Herrschaft der fatimidischen Kalifen, die zu Marionetten ihrer Wesire und Generäle wurden.

Ein umfassendes Literaturverzeichnis schließt das Buch ab. Es enthält eine mit kurzen Kommentaren versehene Liste aller wichtigen Quellen zur Geschichte der Fatimiden sowie nahezu vollständig auch die neueste Literatur zum Thema. 2

Halms Buch bietet eine umfassende, auch für fachfremde Leser verständliche Einführung in die Geschichte des fatimidischen Kalifats von Kairo. Halm geht jedoch über eine Zusammenfassung des Forschungsstandes weit hinaus und liefert aufgrund genauer Kenntnis der Quellen neue Ergebnisse und Interpretationen. Seine sehr quellennahe, mit ausführlichen Zitaten angereicherte Darstellung ist dabei darauf angelegt, dem Leser mehr als nur trockenes Wissen von den politischen Ereignissen der Zeit zu vermitteln. Vielmehr lässt gerade die detailreiche Beschreibung des alltäglichen Lebens, von Festen, Palästen und Schatzkammern ein lebendiges Bild Ägyptens im ausgehenden 10. und 11. Jahrhundert entstehen.

Anmerkungen:
1 Halm, Heinz, Das Reich des Mahdi. Der Aufstieg der Fatimiden (875-973), München 1991.
2 Als Ergänzungen seien lediglich genannt die Fortsetzung von Y. Lev’s Aufsatz zu “The Fatimids and Byzantium, 10th-12th Centuries”, in: Graeco-Arabica, 7-8 (2000), S. 273-281 sowie der Beitrag von M. Ben-Sasson, Geniza Evidence on the Events of 1019-1020 in Damascus and Cairo, in: Fleischer, Ezra (Hg.), Mas’at Moshe. Studies in Jewish and Islamic Culture Presented to Moshe Gil (auf Hebräisch), Jerusalem 1998, S. 103-124, der sich mit der Nachfolgeregelung al-Hakims beschäftigt.

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